Heilsame Impulse

Von heiligen Plätzen & der Zeit

Wir alle kennen diese heiligen Plätze in der Natur, die eine besondere Austrahlung und Anziehungskraft haben. An denen wir uns wohl fühlen, entspannt, leicht, an denen wir auftanken oder eine besondere Art der Kommunikation möglich ist. Kraftorte eben. Aber muss dieser Kraftort voll mit alten, mystischen Bäumen stehen? Was wenn er das vor hunderten Jahren tat und heute kahl und unscheinbar ist? Was wenn er erst in 100 Jahren wieder diese Ausstrahlung haben wird – und es deine Aufgabe ist, ihm dazu zu verhelfen?

Im Frankenwald direkt vor meiner Haustüre gibt es viele solcher magischer Orte. An ihnen finden sich große, kraftvolle Bäume, besondere Felsen, Bäche und Wasserfälle. Oder sie schenken einem einen besonderen Ausblick – oder die nötige Stille für den Blick nach innen. Seit einiger Zeit zieht mich aber ein ganz anderer Ort gerade zu magisch an: ein Stück ehemaliger Wald, der von Harvestern und schweren Maschinen in einer ziemlich schnellen und nicht weniger brutalen Aktion komplett kahl geschlagen wurde. Solche Waldstücke gibt es leider ettliche, doch dieses hier ist anders.

Oft ist in diesen Kahlschlägen eine gewisse Trauer, der Schmerz und teilweise auch Wut und Verzweiflung sehr präsent. Das sind keine besonders einladenden Energien, in denen man entspannt die Seele baumeln lässt. Das war anfangs auch meine Erwartung an diesen Ort und ich lief weiter, machte einen Bogen um ihn. Doch irgendwas zog mich immer wieder an und ich landete immer wieder bei diesem Waldstück auf meinem Hausberg. Mir fiel immer dieser leichte Dunstschleier auf, der darüber hing, egal um welche Uhrzeit und bei welchem Wetter ich dort vorbei kam. Also ließ ich mich darauf ein, nahm Platz und spannte sogar meine Hängematte dort auf, um bewusst einzutauchen.

Langsam wurde mir bewusst, dass irgendwas anders war. Hier wohnte eine ganz besondere Art der Stille, ja fast Leere – fast als wären alle Wesen, alle Energie gegangen und hätten einen leeren Raum zurückgelassen. Dieser Raum war aber nicht einsam, sondern sehr friedlich – und eben still. Ich begriff das Einladung und entdeckte nach und nach inmitten der ganzen Zerstörung und dem Chaos, dass die achtlosen Holzfäller hinterlassen hatten, wunderschöne Details. Neben den wie klagende Finger in den Himmel ragenden Holzsplittern lagen zauberhafte Moosbilder, die aussahen wie gemalt. Hier und dort räkelnden sich kleine Buchen mit sattem Grün aus dem Geäst und trotzden der Trauer mit ihren hoffnungsvollen Farbakzenten. Dieser Ort war weder tot noch trostlos. Dieser Ort war besonders.

Und so zeigten die Hüter und Geister mir nach und nach ihren Platz. Wunderschöne Wurzeln, die durch die schweren Maschinen freigelegt wurden. Besonders kraftvolle oder friedliche Stellen, die zwar im Moment nackt und leer wirken, aber energetisch voller Fülle sind. Und ich begann zu begreifen, dass hier ein besonders kraftvoller Ort – ein Kraftort – liegt, der viele Jahre lang von einem Wirtschaftswald verdeckt wurde. Vermutlich ein alter Ort, der vor Jahrhunderten einmal so ein heiliger Hain war mit uralten, weisen Bäumen. Ein Wald voller Magie. Der brutale Eingriff hatte ihn freigelegt, befreit und sozusagen zurückgesetzt. Alles steht offen und alles ist möglich.

Die Leere ist die Fülle aller Möglichkeiten.

Der Waldflüsterer

Und schließlich wurde so der Wunsch an mich herangetragen, ich möge dort ein paar Eicheln einpflanzen und damit für die Zukunft zur Gestaltung dieses Fleckchens beizutragen. Als ich begriff, dass diese Arbeit jenseits der Zeit liegt und ich etwas dazu beitragen darf, dass in 100 oder 200 Jahren wieder dieser heilige Wald dort sein könnte, den ich andernorts so liebe, war ich unglaublich tief gerührt. Was für eine wundervolle Aufgabe? Einen Ort zu gestalten, den ich zu Lebzeiten niemals sehen werde. Vielleicht meine Enkel oder Urenkel einmal…

Und das ist so unglaublich sinnvoll, dass wir es alle tun sollten. Lasst uns keine Müllhalden und ausgebrannten Landschaften hinterlassen. Und wenn es das letzte ist, was wir tun, bevor wir Mutter Erde in den Abgrund stoßen: lasst uns die Wälder pflanzen, die einmal die Narben unserer Zivilisation bedecken und heilen werden. Lasst uns Eicheln, Kastanien, Bucheckern, Ahornsamen sammeln und an den verwüsteten Kahlschlägen in die Erde stecken. In dem Bewusstsein, dass wir der großen Mutter so helfen, wieder ins Gleichgewicht zu kommen – auch wenn wir nicht mehr davon profitieren werden.

Lasst Bäume, heilige Haine die Spuren sein, die wir hinterlassen.

Der Waldflüsterer
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